Andreas Leikauf

https://www.andreasleikauf.net:443/files/gimgs/th-38_perfect grgr.jpg

Johannes Holzmann

Einzelbild und Sequenz
Auf der Timeline von Andreas Leikauf

Es würde sich anbieten, einen Text über Andreas Leikauf mit einem seiner Bildtitel zu beginnen. Von OUR PERFECT WORLD ließe sich schön zu den Hochglanzbildern propagierter Idealvorstellungen überleiten und anhand des impliziten ironischen Bruchs auch gleich mit einem zentralen Thema Leikaufs zur Sache kommen. Oder einfach ein schmissiges HOT STUFF! angesichts der umfangreichen Zusammenstellung neuer Arbeiten mit ihrer Fülle an Bild- und Textzitaten. Auf jeden Fall könnte man sich darum herumschwindeln, selbst einen Anfang, einen Ausgangspunkt zu setzen, den man am Ende gar noch rechtfertigen müsste. Mit dem Verweis auf etwas bereits Vorhandenes ist man schon mitten drin, bevor noch die Frage auftauchen hätte können, um was es eigentlich gehen könnte – bei einem Text zu Werken, die ihre intensive Atmosphäre und Suggestivkraft der Bild-Text-Gefüge gerade in den offenen Stellen und Brüchen einer abhanden gekommenen Erklärung oder Beschreibung entfalten. Und um was es denn überhaupt gehen könnte bei einem Text über Kunst? ¬– wenn einmal nicht mit einem einleitenden rhetorischen HOW DOES IT WORK? nach ein paar kunsthistorischen Fäden gegriffen wird, um die Sache an einer überlieferten Objektivität festzuzurren, bevor es persönlich werden könnte. Die Wiederholung macht bekannt und schließlich gewohnt, bis etwas einfach so ist. So wie man etwa gewohnt ist, der Kunst eröffnende und einleitende Reden und Texte voranzustellen in den gewohnten Formaten von Vernissagen und Katalogen, ungeachtet dessen, wieviel schon über Kunst, über Malerei, über das Bild an sich gesagt und geschrieben wurde. Vielleicht liegt es daran, dass die Inhalte all des Gesagten und Geschriebenen nicht an sich existieren, sondern immer wieder erst fragmentarisch und ausschnitthaft vergegenwärtigt werden müssen, und dass das Überlieferte, die Geschichten und Systeme, selbst wiederum nichts anderes sind als unzählige solcher Momente der Vergegenwärtigung und der daraus resultierenden momentanen, mehr oder weniger willkürlichen Präsenz von Fragmenten und Ausschnitten. Also einfach 3 MORE WORDS?
Andreas Leikauf greift in diese Überlieferungsspule und stoppt den Film. Das Einzelbild eines kurzen Augenblicks – festgehalten. Momente, die eigentlich nie als solche in Erscheinung treten, breiten sich mit ungewöhnlicher Intensität auf der Leinwand aus. Fernab von jeglichem grellen Pathos künstlerischer Originalität und expressiver Handschrift wird hier in abgedunkelten Räumen eine subtile Regie geführt. Versatzstücke der visuellen und sprachlichen Oberfläche unserer Alltagswelt, abgelichtet in eindringlichen Bild-Text-Kombinationen. In der festgehaltenen Gegenwart des Bildes treten nach und nach mehrdeutige Zwischentöne zutage. Vielschichtige Verschiebungen und Überlagerungen zerstreuen die klaren Formen von Schablonen und Klischees. Dabei verwendet Leikauf das ganze Spektrum an Subtexten und Metaebenen – wenn uns etwa ein Mann im Anzug ein Schild entgegenhält mit den Worten STOP LOOKING AT ME oder die Charakterisierung TOO SMART FOR ART auch unter den Füßen der Bildbetrachter einen doppelten Boden einzieht.
In den Bildern der letzten Jahre treten mehr und mehr die einzelnen Protagonisten der Szenen in den Bild-Text-Dialog ein. Wenn mit dem Offkommentar READY FOR FAME weniger auf bevorstehenden Ruhm als auf seine gegenwärtige Abwesenheit verwiesen wird oder ein junger Mann schon sichtlich verärgert mit I AM FRIENDLY! sein Selbstbild beteuert, wird in knappen Formulierungen die paradoxe Komplexität menschlicher Befindlichkeiten aufgezeigt. Diese intime Atmosphäre verdichtet sich vor allem in jenen Bildern, die mit den Gedanken der dargestellten Personen deren Innerlichkeit zum Ausdruck bringen. Das alltägliche Treiben von ablaufenden Bildern und hinterherlaufenden Menschen scheint für einen Moment unterbrochen zu sein – Standbild. Was auch immer den Mann in diese Stadt geführt hat, welche Ziele und Vorstellungen, hier am Dach eines Hochhauses, beim Griff nach dem Feuerzeug beginnt es ihm zu dämmern – THIS MIGHT BE THE WRONG PLACE. Der Mann mit Kapuze und Kaffeetasse hingegen dürfte schon länger grübeln, in diesem Moment festigt sich der Entschluss: I’LL STAY.
Die Protagonisten werden somit in Momenten grundlegender menschlicher Herausforderungen gezeigt, auf der Suche nach Sinn und Individualität beim gleichzeitigen Versuch, tradierte Vorstellungen zu verwirklichen und gewohnten Strukturen zu entsprechen im Bestreben nach Alltag und Zugehörigkeit. Diesen Aspekt verschärft Andreas Leikauf auf medialer Ebene, indem er die Figuren und Szenen selbst aus Zeitungen und Zeitschriften herausgreift und sie somit in der Fremdbestimmung eines vorausgegangenen Kontexts determiniert. In diese Medien ist die zeitliche Struktur von Einzelbild und Sequenz bereits eingeschrieben. In den Fotografien der Printmedien werden gerne Momentaufnahmen inszeniert, die mit einer suggerierten Zufälligkeit Authentizität bezeugen sollen: Egal, wann und in welcher Situation man angetroffen wird, Style und Image sind immer intakt. Diese Allgemeingültigkeit wird durch scheinbar beiläufige Alltagsszenen etabliert, die in aufwändiger Inszenierung mit den gewünschten Botschaften und Inhalten aufgeladen werden. Die Kombination von Bild und Text ist an die Erzähllogik von Comics angelehnt. Hier ist das Einzelbild eingebettet in eine übergeordnete Handlung und ausgerichtet auf die dafür entscheidenden und möglichst aussagekräftigen Augenblicke. Diesen ambivalenten Status des Einzelbildes spitzt Leikauf in seiner Arbeit zu: Einerseits erhebt er den herausgegriffenen Moment zum eigenständigen Werk im aufgeladenen, zeitlosen Medium der Malerei, andererseits unterstreicht das lasierende Schwarz-Weiß als Verweis auf einen anderen medialen Kontext die Flüchtigkeit des Bildes.
Diese paradoxe Gleichzeitigkeit von überdauernder Geltung und kurzlebigem Vorbeifließen reflektiert schließlich auch grundlegende Strukturen, wie sich tradierte Vorstellungen und Idealbilder, Werte und Normen über die Zeit fortschreiben im Spannungsfeld von Fremdbestimmung und Individualität. Während wir tagtäglich gewohnt sind, die mehr oder weniger beliebig zusammengesetzte Flut an Bildausschnitten und Wertfragmenten noch vor der Wahrnehmungsschwelle auszufiltern, waren es doch diese flüchtigen Erscheinungen und Erfahrungen, die uns schon ein Bild von Welt vermittelten, bevor wir noch ein Bild von uns selbst hatten. Dieser Aspekt von Vorgegebenheit und Fremdheit verdichtet sich bei Andreas Leikauf in der konstanten Verschränkung von Bild und Text. Er bietet uns keine Szenen, die wir nahtlos in einen aktuellen Bewusstseinszustand integrieren könnten, sondern lässt uns wie zufällige Zeugen dazukommen zu einem Interpretationsprozess, der bereits im Laufen ist und nicht von uns angestoßen wurde. Ähnlich wie einige der dargestellten Protagonisten werden wir selbst aus unserem alltäglichen Wahrnehmungsstrom herausgerissen und finden uns vor seinen Bildern wieder in der atmosphärisch-dichten Gegenwart unvorhergesehener Betrachtungsmomente. Wenn in früheren Zeiten allgemeingültige und übergreifende Systeme einander noch geordnet in klassischen Generationskonflikten ablösen konnten, treiben wir nun in der medialen Beschleunigung eines Tag und Nacht fließenden Wandels. Ob wir uns nun zu Melancholie hinreißen lassen oder nicht, wir müssen uns dabei eingestehen, dass wir aus diesem Fluss nicht heraus können, dass es die einzige Timeline ist, die wir haben. 3 MORE WORDS. 1020 weitere zu Andreas Leikauf.